Wie kam ich dazu, im Friseursalon zu forschen, und was macht dieses Thema so spannend? Den ersten Teil der Frage will ich nur kurz beantworten. Ich hatte nicht von Anfang an geplant, meine Forschung im Friseursalon durchzuführen. In meinem Master dachte ich über verschiedene Themen nach, die sich alle mit Körpern und Körperpraktiken beschäftigten. Unter anderem wollte ich „Chemsex“ erforschen – der Gebrauch chemischer Substanzen, um sinnliche Erfahrungen beim Sex zu steigern. Dann beschäftigte ich mich mit körperlichen Untersuchungen im türkischen Militär zur Feststellung von Homosexualität (siehe “Enacting the homosexual body”). Ein wunderbarer Ehemann in Berlin und politische Entwicklungen in der Türkei veranlassten mich jedoch dazu, zuhause zu forschen. Nun zur Frage, warum Haare und der Friseursalon ein interessantes Forschungsthema sind.

Was ist so spannend am Friseursalon?

„Was hast du dir denn vorgestellt?“, fragt mich die Friseurin, während ich in einem bequemen Stuhl in einem höherpreisigen Friseursalon in Berlin sitze. Mein Körper ist unter einem kimonoartigen schwarzen Umhang verborgen und ich schaue sie im Spiegel an. Dabei erkläre ich, dass ich schon eine Weile einen „normalen Männerhaarschnitt“ hatte und nun Lust auf etwas Außergewöhnlicheres habe. Eine scharfe Kante, die das Deckhaar von den Seiten und dem Hinterkopf abtrennt vielleicht? Eine Art Undercut? Ich zeige auf ihren Kollegen: „So ähnlich wie sein Haarschnitt.“

Meine Friseurin macht ein kritisches Gesicht und fährt mir mit ihren Fingern durch die Haare. Dabei erklärt sie, dass die „natürliche Bewegung“ meiner Haare nicht wirklich zu einer scharfen Linie eines Undercuts passe. Außerdem: habe ich mir eigentlich die Haare ihres Kollegen genauer angeschaut? Er habe sehr dickes, schwarzes Haar, wodurch die klare Linie des Undercuts deutlich zum Vorschein komme. Sie könne das natürlich so schneiden. Aber damit der Schnitt „sauber geschnitten“ aussehe, müsse ich meine Haare jeden Morgen föhnen und stylen.

Während sie meine Haare schneidet, erzählt sie, welche Produkte sie gerade verwendet. Zuerst benutzt sie ein Meersalzspray, das meinen Haaren mehr Struktur verleihen soll. Nach dem Föhnen sprüht sie mir ein weiteres Produkt in die Haare, welches meine Haare extrem matt und spröde aussehen lässt. Mir gefällt es nicht wirklich, da ständig Partikel aus meinem Haar fallen, die nach Schuppen aussehen. Deshalb entscheide ich mich dazu, meine Haare zuhause nochmal zu waschen.

Was ist im Friseursalon alles geschehen? – Eine Menge verschiedener Dinge. Ich betrat den Salon und verließ ihn später als eine gestyltere Version meiner Selbst. Im Friseursalon werden Körper modifiziert und stylische Körper produziert, indem an und mit Haaren gearbeitet wird. Deshalb stelle ich in meiner Forschung die Frage, wie durch das Modifizieren von Haaren gestylte Körper im Friseursalon hervorgebracht werden. Kommen wir nun zu vier Argumenten, warum der Friseursalon ein spannender Forschungsort ist.

1 – Körpermodifikationen: „Ein Klassiker der Anthropologie“

Im Berliner Friseursalon dreht sich viel um den Körper und wie dieser modifiziert werden kann. Jedoch geht es nicht um den Körper als Ganzes, sondern um Haare – zur Erinnerung: der Großteil meines Körpers war unter einem Umhang versteckt. Über die Materialität von Haaren – die Struktur, Textur, Farbe – wird gesprochen; sie wird aber auch angefasst, geschnitten, gefärbt und vieles mehr. Haar wird verändert, indem Arbeit investiert wird. Dies schließt den Gebrauch von Produkten, Techniken und Werkzeugen ein.

Mit meinem Fokus auf Körpermodifikationen greife ich auf einen „anthropologischen Klassiker“ zurück. Tattoos in Polynesien (Gell, 1993), in Mozambique (Gengenbach, 2003), oder in Papua Neu Guinea (Barker & Tietjen, 1990), Körperbemalung, Frisuren, Lippenteller und Penisköcher im brasilianischen Amazonas (Turner, 1995) und Körperschmuck in Mount Hagen (Strathern, 1979) sind schon seit mehreren Jahrzehnten Fokus anthropologischer Betrachtungen. Aber auch feministische Wissenschaftler*innen befassten sich mit Praktiken zur Veränderung des Körpers. Vor allem Schönheitsoperationen wurden eingehend diskutiert. Eröffnen sie die Möglichkeit für feministische Utopien (Davis, 1997) oder sind sie nur ein weiteres Mittel, um Kontrolle über Frauenkörper auszuüben (Balsamo, 1992)?

Ich positioniere meine Forschung in diesen diversen Auseinandersetzungen zu Köpermodifikationen, indem ich deren Fokus auf „extreme“ oder „exotische Veränderungen“ auf die alltägliche Aktivität des Haare Schneidens übertrage.

2 – Körper sind nicht einfach da, sondern werden erzeugt

In vielen Studien zu Körpermodifikationen bekommt man den Eindruck, dass es drei unterschiedlichen Einheiten gibt – Kultur/Gesellschaft, der Körper, und das Selbst. Die Ansätze gehen davon aus, (1) dass soziale Strukturen das Selbst unterjochen, indem sie sich in den Körper der Person einschreiben und (2) dass sich das Selbst ausdrückt und auf die Welt einwirkt, indem es seinen Körper als Werkzeug verwendet. Zuletzt ist da (3) der Körper der scheinbar als transhistorisches und transkulturelles Medium entweder für Kultur oder das Selbst fungiert. Der Körper ist einfach da – immer und überall derselbe, eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit.

Kultur, Gesellschaft, Selbst, Körper

(1) Kultur/Gesellschaft, (2) Selbst, (3) Körper

In meiner Forschung möchte ich eine andere Sichtweise auf den Körper vorschlagen. Er ist nicht einfach nur da – ein Fakt, der keiner weiteren Erklärungen bedarf. Der Körper wird erzeugt („to enact“ übersetze ich hier als „erzeugen“ oder „hervorbringen“). Damit beziehe ich mich auf Ansätze aus der Wissenschafts- und Technikforschung, welche betonen, dass Realität in situierten Praktiken und heterogenen Konstellationen hergestellt wird. Das bedeutet, dass der Körper je nach Situation ein anderer Körper ist. Beispielsweise beschreibt M’charek (2010), wie ihr langes, dunkles und gelocktes Haar im Klima des Irakkriegs zu arabischem Haar wurde und sie so zu einer arabischen Frau machte. Als Reaktion ließ sie sich die Haare kurz schneiden. Als sie mit einer Freundin mit Kopftuch über einen „Orientmarkt“ in den Niederlanden lief, brachten ihre kurzen Haare, das Kopftuch ihrer Freundin und das Setting des Markts ihren Körper als Körper eines Immigranten hervor. Als männlicher Immigrant wurde sie fälschlicherweise beschuldigt, den Hintern einer niederländischen Dame begrapscht zu haben. Aufgrund dieser Instabilität von Körpern – sie werden zu verschieden Körpern je nach Situation und Praktiken – kommt Haraway (1991, S. 208) zu dem Schluss, dass Körper als Wissensobjekte material-semiotische Knotenpunkte sind. Ihre Grenzen materialisierten sich in sozialen Interaktionen und bestehen nicht von Vorneherein als gegebene Objekte.

Das ist also mein zweiter Punkt, den ich aus der feministischen Wissenschafts- und Technikforschung entleihe: Körper werden in „Materialisierungspraktiken“ (Taylor, 2005) erzeugt. Hinsichtlich meines Themas bedeutet das, dass Körper kein Rohmaterial darstellen, das dann im Friseursalon bearbeitet wird. Stattdessen gehe ich davon aus, dass gestylte Körper erst durch spezifische Praktiken und in Konstellationen hervorgebracht werden. Dies schließt den Gebrauch von Werkzeugen und Produkten, aber auch das Sprechen über Haare und Evaluieren von Haaren ein. Körper werden also erzeugt. Und auch die Materialität meiner Haare wurde während meines Besuchs beim Friseur erzeugt: die Friseurin fühlte meine Haare mit ihren Fingern und evaluierte sie mit Hinblick auf meinen gewünschten Schnitt. Und da kam sie zum Vorschein: die natürliche Bewegung meines Haars. Dann verglich sie meine Haarstruktur und -farbe mit der ihres Kollegen. Zusätzlich benutzte sie Meersalzspray für mehr Struktur. Und so wurde mein Haar zu blondem und extrem dünnem Haar. Ich ging zum Friseur mit dem Wunsch eines neuen und stylischen Haarschnitts und im Salon wurde die „natürliche Bewegung“ meiner Haare, ihre blonde Farbe und dünne Struktur hervorgebracht.

3 – Das Produzieren von Style und stylischen Körpern

Zudem interessiere ich mich für den Friseursalon als Ort, an dem Style als Eigenschaft von Körpern produziert oder sogar handwerklich angefertigt wird und an dem gestylte Haare (geschlechtliche) Identitäten performen. Ich komme nochmal zu der eingangs beschriebenen Situation beim Friseur zurück. Ich ging nicht aus bloßer Notwendigkeit zu diesem Salon. Ich wollte einen neuen Style, weil ich von meinem „normalen Männerhaarschnitt“ gelangweilt war. Für diesen neuen und hippen Haarschnitt ging ich nicht zu irgendeinem Friseur, sondern nahm eine einstündige Fahrt von Potsdam nach Berlin auf mich und suchte mir diesen höherpreisigen Salon aus. Einerseits zeigt diese Beobachtung, dass Menschen sich durch Style versuchen von anderen zu unterscheiden („normale“ Männer in meinem Fall) und ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe auszudrücken (hippe, junge, urbane Berliner*innen).

Andererseits zeigt meine Erfahrung beim Friseur auch auf, dass es nicht einfach ist, einen gewissen Style zu erlangen. Style ist also nicht nur bedeutungsvoll und Teil von Identität. Zuallererst muss Arbeit in Haare gesteckt werden und bestimmte Bedingungen müssen geschaffen werden, um einen Style zu produzieren und beizubehalten. Als meine Friseurin mahnte, dass ich meine Haare jeden Morgen föhnen müsse, nahm sie an, dass ich einen Föhn habe, eine Energiequelle für das Gerät, die Räumlichkeiten zum Föhnen und – am wichtigsten – das nötige Wissen, wie man Haare föhnt und stylt. Das ist mein dritter Punkt: Style trägt Bedeutung und es bedarf vieler Dinge (Wissen, Produkte, Geräte…), um Style zu produzieren und damit einen gestylten Körper zu erzeugen (siehe auch „Die Wies und Warums im Friseursalon“).

4 – Performativität von geschlechtlichen Körpern

Wie oben dargestellt, waren meine Haare mit ihrer Farbe und Struktur nicht einfach nur da, sondern sie wurden im Friseursalon erzeugt. Die Friseurin fühlte die natürliche Bewegung meiner Haare, verglich meine Haare mit den Haaren ihres Kollegen und veränderte ihre Textur mit Hilfe von Produkten. Haare werden also in Praktiken hervorgebracht. Gleichzeitig spielen Haare eine entscheidende Rolle beim Hervorbringen von Körpern als stylische und auch geschlechtliche Körper. Ein Haarschnitt kann einen „normalen Mann“ oder hippen Berliner erzeugen. Das versteht Butler (1990/1999) unter Performativität von Geschlecht: ein Mann ist nicht einfach ein Mann – ein für alle Mal. Geschlechtsidentitäten müssen immer und immer wieder neu performt werden, beispielsweise durch einen bestimmten Haarschnitt.

Man kann Haar folglich als materielles Attribut oder Requisit (Mol, 2002, S. 39) bei der Performance von Geschlecht verstehen. Trotzdem dürfen wir nicht mein eigenes und M’chareks oben erwähnte Beispiele außer Acht lassen. Meine Erfahrung beim Friseur zeigt auf, dass Haare nicht einfach da sind, sondern genauso wie Geschlecht performt werden – oft als Teil des Körpers. Zusätzlich betont M’chareks Beispiel, dass Haare eine sehr unzuverlässige Requisite darstellen, da sie nicht immer die Rolle unterstützten, die man spielen möchte. In dem einen Moment war M’charek eine kurzhaarige Frau, die mit ihrer Freundin über den Markt lief. Im nächsten brachten ihre kurzen Haare in Verbindung mit vielen weiteren Faktoren ihren Körper als Körper eines Immigranten hervor.

Das ist mein letztes Argument, warum Haare und der Friseursalon ein spannendes Forschungsthema sind: Haare können jemanden zu einem Mann, zu einer Frau oder zu einer Person, die diese Kategorien ablehnt, machen. So einfach ist es jedoch nicht. Wann genau hilft Haar, einen Körper als männlichen Körper hervorzubringen? Und was für einen männlichen Körper? Hip oder „normal“? Das sind Fragen, denen ich während meiner Feldforschung nachgehen will.

 

Literatur

Balsamo, A. (1992). On the cutting edge. Cosmetic surgery and the technological production of the gendered body. Camera Obscura: Feminism, Culture, and Media Studies, 10 (1 28), 206-237.

Barker, J. & Tietjen, A. M. (1990). Women’s facial tattooing among the Maisin of Oro Province, Papua New Guinea. The changing significance of an ancient custom. Oceania, 60 (3), 217-234.

Butler, J. (1999). Gender trouble. Feminism and the subversion of identity. New York: Routledge (Originalarbeit erschienen 1990).

Davis, K. (1997). ‘My body is my art’. Cosmetic surgery as feminist utopia? European Journal of Women’s Studies, 4 (1), 23-37.

Gell, A. (1993). Wrapping in images. Tattooing in Polynesia (Oxford studies in social and cultural anthropology / Cultural forms). Oxford: Clarendon Press.

Gengenbach, H. (2003). Boundaries of beauty. Tattooed secrets of women’s history in Magude District, Southern Mozambique. Journal of Women’s History, 14 (4), 106-141.

Haraway, D. J. (1991). Simians, cyborgs, and women. The reinvention of nature. London: Free Association Books.

M’charek, A. (2010). Fragile differences, relational effects. Stories about the materiality of race and sex. European Journal of Women’s Studies, 17 (4), 307-322.

Mol, A. (2002). The body multiple. Ontology in medical practice. Durham: Duke University Press.

Strathern, M. (1979). The self in self-decoration. Oceania, 49 (4), 241-257.

Taylor, J. S. (2005). Surfacing the body interior. Annual Review of Anthropology, 34 (1), 741-756.

Turner, T. (1995). Social body and embodied subject. Bodiliness, subjectivity, and sociality among the Kayapo. Cultural Anthropology, 10 (2), 143-170.

 

Titelbild: © Max Schnepf

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